Musiker kaufen ihre Instrumente nicht in Onlineshops!

Onlinehandel ist aus dem heutigen Leben nicht mehr wegzudenken, und in vielen Bereichen auch recht sinnvoll. Aber wenn ein Musiker ein neues Instrument online kauft, kauft er die Katze im Sack. Der Preisvorteil ist, wenn überhaupt, klein und wiegt den großen Nachteil nicht auf, dass man mangels Vergleichstest und mangels individueller Beratung fast immer eine suboptimale Kaufentscheidung trifft.

Neulich fragte mich eine Freundin, ob ich ihr behilflich sein könnte. Sie spielt Klavier und möchte sich gern ein E-Piano kaufen, weiß aber nicht, worauf sie bei der Auswahl achten muss. Man hat ihr geraten im Internet zu kaufen, damit sie nicht draufzahlt ...
Nun ja, mit Digitalpianos habe ich nicht wirklich was am Hut - mein Spezialgebiet ist die Gitarre. Da erhalte ich viele Anfragen, wie z.B.: Ich bin Anfänger, welche Gitarre soll ich mir kaufen? Ist die Gitarre X vom Hersteller Y gut? Wie teuer sollte eine gute Gitarre sein? ... und,und,und. Oft muss ich passen, denn ich bin kein Musikinstrumentenhändler und demzufolge nicht hinreichend über das aktuelle Angebot informiert. Ein Verkäufer in einem Fachgeschäft könnte die Fragen sehr gut beantworten. Aber so wie das der Zeitgeist jener Freundin in's Ohr flüsterte, sind heute viele schon der Meinung, dass man im Internetzeitalter einen Musikladen nur noch im Notfall betritt, denn:
- es ist erstens doch viel bequemer, wenn man sich die Ware in's Haus kommen lässt,
- es ist zweitens im Musikladen ja viel teurer als im Internet,
- man hat ja drittens in den großen Onlineshops eine viel größere Auswahl, und
- es gibt viertens doch kaum noch richtige Musikgeschäfte.
Vier plausible und gängige Argumente, die die modernen Spatzen vom Flachdach pfeifen. Aber ist das wirklich so?

Keine Alternative zum Ladengeschäft bei Instrumentenkauf

Den einzigen sinnvollen und gut gemeinten Rat, den ich der Freundin geben konnte, war: Gehe in einen Musikladen, probiere die Instrumente aus und entscheide Dich für das, das Dir vom Spielen her auf Anhieb gefällt. "Ist das dort nicht zu teuer? Da habe ich ja nur eine kleine Auswahl. Wo gibt's denn hier überhaupt einen Laden?" - so ihre Bedenken.
Ja richtig. Musikläden sind aus den Zentren großer Städte verschwunden, und aus den kleinen Städten ganz. Denn schon vor dem Internetzeitalter kam ein fränkischer Kaufmann auf die Idee, die immer klammen Musiker mit den immer besten Preisen per Fernhandel zu bedienen. Sein Erfolg beruht nicht etwa auf dem Umstand, dass es zu wenig Musikläden gab, sondern dass es viele Musikläden gab, in denen man ein Instrument antesten konnte, bevor man es bei "...mann" billig und versandkostenfrei bestellte.
An die Loyalität ihrer Kunden zu appellieren, nutzte den Musikgeschäften wenig. Wer überleben wollte, brauchte viel Verkaufsfläche, Kundenbindung, guten Service und natürlich exakt die gleichen Preise wie der deutsche Musikriese. Hauptsächlich deswegen gibt es in Hinterposemuckel im Umkreis von 50 Kilometern keinen Musikinstrumentenladen mehr. Und der Laienkundschaft sind die großen Läden in den Gewerbegebieten der Peripherien eher unbekannt.

Ich empfahl also den größten in der Stadt ansässigen Musikhändler, gelegen in einer alten Werkhalle am Rande der Stadt. Dort stehen mindestens 10 E-Pianos zum Ausprobieren und Mitnehmen bereit, und wenn man möchte, kann man sich das Instrument seiner Wahl auch im dazugehörigen Onlineshop zum gleichen Preis nach Hause bestellen. OK, zehn E-Pianos - das ist nicht viel (könnte man meinen), angesichts von vielleicht 100 E-Pianos im Shop des mittlerweile größten Musikhändlers Europas oder gar noch mehr beim größten Onlinehändler der Welt.
Mit einem fast unüberschaubaren Angebot werben die Riesen, aber genau das ist letztlich ein Problem. Da ist ein ratloser Kunde, aber kein Verkäufer, der erklärt und berät. Stattdessen ein System der Bewertungen und der Feedbacks. Selbst wenn es da immer mit rechten Dingen zugehen würde: Instrumente sind eine individuelle Angelegenheit und in den Preisbereichen, wo Qualität eine Selbstverständlichkeit ist, nützt es dem Kunden nichts mehr, wenn ein anderer Kunde das Instrument gut findet. Er muss es selbst gut finden und dazu muss er es selbst in der Hand gehabt haben. Soundbeispiele, 3D-Ansichten, Videos und Testberichte usw. ersetzen diese Erfahrung nicht. Für den leidenschaftlichen Musiker haben Instrumente eine Seele, Aura und Charakter, welche man nicht digital erfahrbar machen kann.
Ich sage ganz deutlich: Kaufe kein Instrument, das Du nicht in der Hand hattest.
Klar, da verweisen dann die Internethandelsgiganten auf ihr kostenloses Rückgaberecht - bis zu 30 Tage ... Wow, was für ein Service ...
Ich brauche 30 Sekunden, um zu wissen, ob ein Instrument für mich in Frage käme oder nicht - aber das würde ich dann gern mit 30 Gitarren machen.

Das Experiment

Doch zurück zum E-Piano. Ich sage zu der Freundin: Mache es doch mal wie bei einem wissenschaftlichen Experiment und schaffe objektive Vergleichsbedingungen.

Test 1 - Das Geschäft:
Gehe in den Laden, lass Dich beraten, teste 10 E-Pianos an. Notiere aufgewendete Zeit und ausgegebenes Geld.

Test 2 - Der Onlineshop:
Bestelle 10 E-Pianos im größten Onlineshop Europas. Packe sie aus, baue sie auf, teste sie. Schicke sie wieder zurück. Notiere aufgewendete Zeit und ausgegebenes Geld.

Test 1 ist in paar Stunden erledigt.
Problematisch wird es gleich zu Beginn mit Test 2. Es sind nämlich schon mal ein paar Tausend Euro Kapital nötig, wenn man sich 10 E-Pianos bestellt, denn bezahlt wird im Onlinehandel bekanntlich vor der Lieferung. Und eventuell schrillen ja im System des Onlinehändlers sogar die Alarmglocken, wenn ein Kunde 10 E-Pianos für insgesamt mehrere tausend Euro ordert. Vielleicht ruft ja ein Mitarbeiter an und fragt nach, ob das ein Versehen sei. Oder die Lieferung kommt mit einer Spedition. Was für ein außergewöhnlicher Vorgang in der schönen neuen Onlineshoppingwelt - im Laden eine unkomplizierte Leistung. Oder will man sich mal vorstellen, dass man im Musikgeschäft ein E-Piano nur anspielen darf, wenn man es vorher kauft?
Aber gut, wir nehmen freundlicherweise mal an, dass es bei der Menge an täglichen Lieferungen in den großen Versandhäusern nicht auffällt, wenn jemand 10 E-Pianos ordert. Nachdem also der Postbote sein Fahrzeug leergeräumt und 10 Pakete á 20 Kilo die Treppe hinauf getragen hat, wir 10 Pakete geöffnet haben, 10 Kartons in den Keller schafften, 10 E-Pianos aufbauten - alles mit großer Sorgfalt, denn wir wollen ja nur testen - nachdem also ein paar Stunden rum sind, geht es an's gemütliche Anspielen.
Ja und vielleicht konnten wir uns für eines der 10 E-Pianos entscheiden. Dann käme jetzt der schwerste Teil von Test 2: die Rücksendung der anderen 9 Pakete. Abbauen, Einpacken, Transport zum Postamt. Ob mit oder ohne Rücksendeschein - es gehen wieder ein paar Stunden drauf und dann kommt noch etwas besonders aufregendes: das Warten auf die Rücküberweisung unseres Geldes.
Was sagt denn da der gütige Versandhändler oder das "kundenfreundlichste Unternehmen der Welt", wenn die Gewinnmarge des gekauften E-Pianos von Hin- und Rücktransportkosten der 9 anderen E-Pianos mehr als aufgefressen wird? Droht uns nun vielleicht eine Käuferkontosperre? Oder kann man uns bei mindestens einem Gerät eine "Verschlechterung" der Ware nachweisen?
Kann sein, dass wir am Ende ohne Minus oder Schadenersatzklage aus diesem ganz normalen Vorgang herauskommen. Aber wenn auch nur ein Bruchteil der Musiker auf die Idee käme, es auch nur ein Mal so zu machen, kämen die Onlineshops ganz schnell in Existenznot.
Halten wir doch mal ehrlich fest: Der Fernhandel mit Musikinstrumenten ist der Handel mit Katzen im Sack. Kaufen auf gut Glück - kaufen, was andere für richtig halten - kaufen, was alle kaufen - und dann gefälligst zufrieden sein. Die Bequemlichkeit, für ein neues Musikinstrument keinen Fuß vor die Tür setzen zu müssen, führt letztendlich auch dazu, dass man das gewählte und gelieferte Instrument wider besseren Gefühls behält; und dann muss man sich das ganze schönreden - z.B. damit, dass man ein paar Cents gespart hätte.

Was spart man wirklich?


Für eine aufwendige, stunden- und tagelange Internetrecherche und für die Rücksprache mit echten und selbsternannten Spezialisten sind sich viele Zeitgenossen heutzutage nicht zu schade. Wohl aber dazu, ein paar Stunden der wertvollen Zeit dazu zu verwenden, ganz konventionell in einen Laden zu gehen und einem Fachverkäufer zu vertrauen.
Hebt da wieder einer den moralischen Zeigefinger wider den Zeitgeist?
Nein, zu gewichtig sind die Fakten. Was muss man an Zeit und Geld aufwenden und was kriegt man dafür? Wenn man einen neuen Satz seiner Lieblingssaiten braucht, mag es von Vorteil sein, sie online zu bestellen. Aber wenn ein Musiker sein zukünftiges Instrument auf Verdacht aus der Ferne kauft, finde ich das einfach nur Quatsch.
Gespart hat man unter dem Strich meist nichts: weder Zeit, noch Geld, noch Nerven. Der faule Kompromiss mit dem angeblich so günstigen Internetkauf wird am Ende meist erst so richtig teuer, wenn man nach ziemlich kurzer Zeit wieder unsicher wird, ob denn ein anderes Instrument nicht doch besser wäre. Und dann denkt man über die Anschaffung eines neuen, besseren Instruments nach. Selbstverständlich wieder online - denn man ist ja nicht blöd ...

Mit gitarristischen Grüßen

 

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